Blutegeltherapie (Hirudotherapie)

Definition

Die Blutegel-Therapie gehört zu den ausleitenden Verfahren und wirkt ähnlich wie ein Aderlass: Mehrere lebende Blutegel werden auf bestimmte Hautbereiche aufgesetzt, wo sie sich mit Blut voll saugen. Die Heilwirkung des Verfahrens beruht zum einen auf dem Blutentzug durch den Egel, zum anderen auf den Stoffen, die von den Tieren ins Blut des Patienten abgegeben werden.

Herkunft

Blutegel werden schon seit Jahrtausenden zu medizinischen Zwecken eingesetzt. Bereits in den Keilschriften der Babylonier (etwa 1500 v. Chr.) gibt es Hinweise darauf, dass Blutegel zur Behandlung von Krankheiten verwendet wurden. Auch in indischen Sanskrit-Schriften (etwa 500 v. Chr.) wird über diese Therapiemethode berichtet. In Europa findet die Blutegel-Therapie erstmals 200 v. Chr. in den Schriften des griechischen Arztes und Dichters Nikander von Colophon Erwähnung. Während der folgenden Jahrhunderte breitete sich das Verfahren über ganz Europa aus und wurde – wie der Aderlass – eine allgemein anerkannte und häufig genutzte Methode. Mitte des 18. Jahrhunderts war die Blutegel-Therapie so „in Mode“, dass jährlich mehrere Millionen Blutegel verbraucht wurden. Dieser Missbrauch und die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Medizin im 19. Jahrhunderts führten dazu, dass die Blutegel-Therapie zunehmend an Bedeutung verlor und schliesslich völlig aus der wissenschaftlichen Medizin verdrängt wurde.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte das Verfahren eine kurze Renaissance, nachdem in mehreren Veröffentlichungen über die erfolgreiche Behandlung von Thrombosen mit Blutegeln berichtet wurde. Die Entwicklung von wirksamen Medikamenten zur Thrombosetherapie nach dem zweiten Weltkrieg hatte jedoch zur Folge, dass das Interesse an der Blutegel-Therapie wieder schwand.

Zu Beginn der 1980er Jahre wurden in der Mikrochirurgie und in der plastischen Chirurgie neue Einsatzgebiete für die Blutegel gefunden. In der Naturheilkunde wird die Blutegel-Therapie heute vor allem zur Behandlung von venösen Erkrankungen und Arthrosen eingesetzt.

Grundlagen

Wie alle ausleitenden Verfahren basiert auch die Blutegel-Therapie auf der „Säftelehre“ (Humorallehre) von Hippokrates. Gemäss dieser Lehre werden alle Körperfunktionen von den vier Säften Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle gesteuert. Die Ausgewogenheit der vier Säfte ist die wichtigste Voraussetzung für Gesundheit, Krankheiten entstehen aufgrund einer falschen Mischung der vier Körpersäfte. Dieses Ungleichgewicht kann beseitigt werden, indem man überflüssige Säfte nach aussen ableitet. Dies geschieht bei der Blutegel-Therapie mit Hilfe der Blutegel.
Die Wirksamkeit der Blutegel-Therapie ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen:
Die Blutentnahme durch den Egel und die anschliessende Nachblutung wirkt wie ein langsamer Aderlass. Dadurch werden schädliche Substanzen aus dem Körper entfernt und lokale Blut- und Lymphstauungen beseitigt.
Während des Saugens gibt der Egel über seinen Speichel zahlreiche Substanzen in die Wunde ab wie zum Beispiel Hirudin, das die Blutgerinnung hemmt, und Eglin, das entzündungshemmend und schmerzlindernd wirkt. Andere Wirkstoffe haben gefässerweiternde, durchblutungsfördernde und entkrampfende Eigenschaften.
Der Biss des Tieres wirkt ausserdem als unspezifischer Reiz, der über Reflexzonen der Haut auch innere Organe und andere Körperregionen positiv beeinflusst.

Quelle: EMR